März 2023

Es ist manchmal gut, die Sorgen so zu behandeln,

als ob sie nicht da wären,

das einzige Mittel, ihnen die Wichtigkeit zu nehmen.

Rainer Maria Rilke

 

Im Alpenpodcast der Wochenzeitung DIE ZEIT haben sich Florian Gasser und Lenz Jacobsen am 22. Februar über das Fasten Gedanken gemacht. Sie haben auch gefragt, ob Zuhörer*innen Ideen zu einer anderen Art des Fastens haben. Ich habe nachgedacht und mir fiel ein, dass ich ein SORGEN-FASTEN einführen könnte. Praktisch sieht das so aus: Tauchen in meinen Gedanken Sorgen auf, welche die Zukunft betreffen, dann frage ich mich: „Woher weiß ich, dass dies eintreffen wird?“ Ich weiß es nicht! Das Leben ist unvorhersehbar, daher hat es wenig Sinn, dass ich mich um die Zukunft sorge.

 

Keinesfalls sollten wir uns von unseren sorgenvollen Gedanken lähmen lassen.

 

Werde ich mit Sorgen anderer konfrontiert – die derzeit oft einer Art Grusel-propaganda gleicht – frage ich: „Woher weißt du das? Wer sagt das?“ Meistens erhalte ich auf diese Frage kaum verständliche und wenig sinnvolle Begründungen. Viel zu oft habe ich mir Sorgen über Dinge gemacht, auf die ich keinen Einfluss hatte und eingetroffen sind sie auch nicht. In diesem Sorgen verliere ich mein Vertrauen ins Leben und vergesse die Tatsache, dass ich nie sicher sein kann und das einzige was ich beitragen kann: Vertrauen. Vertrauen, dass meine Kinder und ich die Kraft haben werden Schwierigkeiten gemeinsam zu bewältigen.

 

Doch persönliche Sorgen, welche die Bewältigung des Alltags betreffen nehme ich ernst. Erkrankt eines meiner Enkelkinder und kann nicht in die Schule, dann verringere ich die Sorge meiner Kinder und bin für die Enkelkinder da. Dieses Beispiel zeigt, ich kann konkret FÜR einen anderen sorgen, doch die Sorge UM jemanden macht mein Leben unnötig schwer. Werden meine Sorgen übermäßig, dann erinnere ich mich an die Zeit, in der meine Mutter und meine Großeltern gelebt haben und wie sie Schwierigkeiten und Herausforderungen bewältigt haben.

Es gibt eine gute Sorge und die hat mit genauem Hinschauen zu tun. Dazu gehört das Zutrauen in die Fähigkeiten anderer und Zuversicht und das Vertrauen ins Leben, dass es uns nicht mehr abverlangt, als wir tragen können.

 

Februar 2023

Das Gefühl ist immer feinfühliger

als der Verstand scharfsinnig sein kann.

Viktor E. Frankl

 

Ich weiß nicht, ob es vor fünfzig Jahren auch schon so viel Ratgeber für alles und jede klitzekleine Lebensfrage gegeben hat. Eines weiß ich gewiss, zu viele schenken den Ratgebern und den Rahmenbedingungen zu viel Bedeutung und ihrem Empfinden zu wenig. Viel zu oft und viel zu viel wird das Ergebnis in den Mittelpunkt gestellt und beeinträchtigt unsere Sichtweise. Anstatt durch sinnvolle Anregungen gestärkt zu werden, sind immer mehr Menschen verunsichert, ob es wohl richtig ist, was sie tun.

Anstatt Empfindungen und Gefühle als Merkmal unseres Menschseins anzuerken­nen, empfehlen moderne Ratgeber ein Ranking der Gefühle in gut und schlecht. Dabei führt die Bewerung von Gefühlen in eine Abwertung aller Empfindungen, die unbehaglich oder belastend sind. Die Wut hat Mahatma Gandhi mit dem Treibstoff für das Auto verglichen. „Wut ist für einen Menschen wie Benzin für ein Auto - sie treibt einen an, damit man weiterkommt, an einen besseren Ort. Ohne sie hätte man keinerlei Motivation, sich einem Problem zu stellen. Wut ist die Energie, die uns zwingt, zu definieren, was gerecht ist und was nicht.“

Mit der Trauer ist es ähnlich, man will sie schnell wieder los werden. Dabei ist Trauer - ebenso wie die Freude - eine angeborene menschliche Fähigkeit.

 

Kaum geht es einem lieben Mitmenschen nicht so gut, wird er von zu vielen mit Ideen zum Handeln überschüttet, was er tun sollte, dass es ihm wieder besser geht. Dabei wäre das Einfachste, den Mut zu haben, dem eigenen Empfinden Zeit zum Mitfühlen zu schenken. Setzen wir dann unseren Verstand ein, könnten wir die Erfahrung machen, dass die passiven Fähigkeiten gefragt sind. Die Geduld, die Gelassenheit, die Langsamkeit und das Vertrauen ins Leben selbst.

 

Aus dem Umstand, dass man selbst eine Erkrankung erlebt hat oder einen lieben Menschen beerdigt hat, folgt nicht, dass man für sämtliche Erfahrungen von Menschen im Modus des „Ich bin auch dort gewesen“ gerüstet wäre. Ich kann prinzipiell nicht wissen, wie es für eine bestimmte Person unter bestimmten Umständen ist, eine Erfahrung zu machen, die belastend ist. Fragen zu stellen, die zum Mitfühlen führen sind ebenso wesentlich wie die Erkenntnis von Albert Schweitzer und seine Sicht über die Ehrfurcht vor dem Leben:

„Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das Leben will.“

Jänner 2023

In diesen Zeiten der Krise, wird immer auch schon eine neue Zeit geboren.

Gerade in solchen Zeiten wird jeder einzelne mit einer unerhörten,

großen und schweren, aber herrlichen Verantwortung belastet:

von jedem einzelnen hängt es ab, was aus dieser Zeit hervorgeht.

Viktor E. Frankl

 

Für mich beginnt ab Jänner ein neuer Lebensabschnitt und bei allem Optimis-mus ist der Weg, der noch vor mir liegt, wesentlich kürzer als jener, der hinter mir liegt.

Die letzten zwanzig Jahre waren von der Weitergabe der Sinnlehre von Viktor E. Frankl geprägt. Für mich ist das wesentliche Kernelement der Logotherapie und Existenzanalyse Freiheit in Verbindung mit Verantwortung. Deshalb war Ermutigung zur Selbstbestimmung – die ohne realistische Selbsterkenntnis nicht zu erreichen ist – immer das Wesentliche. Wie ein Mensch von der Theorie über den praktischen Alltag zur Erkenntnis gelangt, kann niemals vorgeschrieben werden und dafür gibt es auch kein Rezept.

 

In dieser aufmüpfigen Haltung habe ich seit 2015 mit viel Lebensfreude, Begeisterung und Dankbarkeit Lehrgänge für Lebensberatung auf Basis der Logotherapie gestaltet. Seit September 2022 gibt es in Österreich für die Durchführung dieser Ausbildung ein neues Gesetz. Die Inhalte und Vorschriften schränken die Freiheit, zur Ermutigung selbständig zu denken enorm ein. Vieles – auch das Unberechenbare – wurde auf Messbarkeit, Beweisbarkeit und Kontrolle reduziert. Daher habe ich mit Ende Dezember alle Berechtigungen, die an gesetzliche Formalitäten gebunden sind, zurückgelegt. Erneut werde ich einer Beschreibung gerecht, die mir zwei sehr liebe Menschen zu meinem 70er geschenkt haben: Die beeindruckende Gesetzlose aus den Bergen.

 

Aus meiner Sicht ist der größte Feind selbstbestimmt und verantwortlich zu leben, die falsch verstandene Harmonie. Dort wo Harmonie als absolutes Ziel unausgesprochen im Raum schwebt, werden alle schöpferischen Werte und die Einmaligkeit des Menschen nivelliert. Dieser „fauler Friede“ ebnet den eigenen Geschmack ein und verlangt Einfalt statt Vielklang. Das bedeutet, man darf nur mehr das sagen, was die anderen nicht stört.

 

Freiheit bedeutet für mich, das, was mich berührt und begeistert in dieser „großen und schweren, aber herrlichen Verantwortung“ zu leben. Ich werde weiterhin schreiben, Vorträge und Seminare halten ich vertraue dem Leben selbst, der Lebendigkeit, dem Ideenreichtum und der Kreativität in meiner Arbeit. „Spielräume im System entdecken“, so lautete ein Seminar, das ich vor einigen Jahren angeboten habe und nun gilt diese Aufforderung für mich selbst.

 

Das neue Buch von Wolf Lotter „Unterschiede“ und zwei Fragen, die Martin Schleske in seinem Buch „WerkZeuge“ schreibt, werden mich dabei begleiten:

„Geht es mich etwas an?

UND

Kann ich etwas daran ändern?

Nur wenn ich beide Fragen bejahen kann, haben sie meine Aufmerksamkeit verdient.“

Da für mich noch einmal eine Art "Stunde Null" beginnt, habe ich mich an den Stundenull-Talk mit Stefan Hund erinnert.

Als Logotherapeutin und Autorin liebe ich es mit Worten und Begriffen zu spielen, ohne jedoch Begriffe in eine Definitionsmacht oder die Sinnlehre von Viktor Frankl in ein Dogma zu verwandeln.