Aktuelle Gedanken

Das Trotzdem – die Urkraft des Menschen

Mitten im Lesen des Buches „Die Welt von gestern – Erinnerungen eines Europäers“ von Stefan Zweig, tauchte in mir der Gedanke auf: Das Trotzdem, welches Viktor Frankl gelebt und beschrieben hat, ist für mich die Urkraft des Menschen.
Diese Urkraft mag bei unserer Geburt ein Geschenk gewesen sein, doch im Erwachsen-Werden bekommt niemand die Urkraft des Trotzdem geschenkt. Sie verlangt ein allmähliches und langsames Lernen und das bedeutet eine erkenntnisreiche Theorie mit den persönlichen Erfahrungen zu verbinden.
Das ist etwas völlig anderes als unterschiedliche Wenn-dann-Strategien zu befolgen und zu erwarten, dass am Ende das eintrifft, was jemand versprochen hat. Viktor E. Frankl hat nichts versprochen und deshalb ist er für mich so glaubhaft.


Was wir aus den Bausteinen, die uns zur Verfügung stehen „bauen“, entscheidet also der Baumeister. Der Baumeister oder die Baumeisterin ist jeder Mensch selbst und das Leben.
In einer Zeit der Reizüberflutung und der Ratgeberfülle von Apps ist es nicht einfach, die Urkraft des Trotzdem zu beleben. In den digitalen Plattformen ist diese Kraft nicht zu finden. Diese Unternehmen sind wesentlich an unseren Daten interessiert, um damit Werbung zu machen und vor allem Geld. 
Die Urkraft des Trotzdem kennt die Blickwinkel jener Menschen, die schwierige Zeiten erlebt und bewältigt haben. Damit verbunden ist die Zuversicht, eine zeitlos gültige menschliche Lebensweise und diese wieder neu zu beleben, dazu kann jede und jeder etwas beitragen. Wesentlich sind es persönliche Erfahrungen, an die es sich zu erinnern lohnt. Im Rückblick wird man entdecken, dass sehr selten die guten Bedingungen für das persönliche Gelingen verantwortlich gewesen sind.
Es gibt keine Methode, die man anwenden kann und bei der am Ende der befolgten Anweisungen auf der Zielflagge Trotzdem steht.

„Also für mich ist ein Mensch mit Bildung ein Mensch, der vor allem eine seelische Bildung hat, die seine Menschlichkeit beschreibbar macht. Und dazu gehört, dass er nicht nur sich, sondern auch andere liebt und ihnen das auch mitgeben kann, nicht im Verbalen, sondern durch Handeln; dass er seine eigenen Schwächen, Neid und so weiter gut beherrschen und unterdrücken kann; dass er also nicht ungerecht anderen gegenüber ist; dass er niemanden übervorteilen will; dass er nichts besser wissen will als andere; dass er auch dann, wenn es Konflikte gibt, in der Lage ist, Frieden zu stiften und Ausgleich zu schaffen.“
Harald Lesch, Wie Bildung gelingt? Ein Gespräch


Die „Unbesiegbarkeit des Geistes“ trotz allem unerschütterlich aufrechtzuerhalten dazu sollten wir uns inspirieren und ermutigen. Bei Viktor Frankl finde ich immer wieder reichlich Ermutigung.
In seinem Theaterstück „Synchronisation in Birkenwald“ lässt er Spinoza, Kant und Sokrates miteinander sprechen und in der Stimme des Sokrates bringt Viktor Frankl die Herausforderung auf den Punkt:

Überhaupt – was wollen Sie denn? Niemand versteht uns – – außer er kommt von selber drauf. Keiner versteht, was wir sagen oder schreiben, eh er nicht selbständig denkt, bevor er es nicht selber entdeckt und sich selber erweckt. Ist es uns anders ergangen? Wir haben doch auch erst tun müssen, was wir dachten. Solange wir es nicht taten, waren wir nicht dahinter und wirkten wir nicht.”
„Synchronisation in Birkenwald“ ist zum ersten Mal 1946 im „Brenner“ in Innsbruck erschienen.

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